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Der Nachtwächter von Grünsfeld

Anektoden und Geschichten beim erste Nachtwächterrundgang

Grünsfeld (hne). „Iss da wer?“, ruft der Nachtwächter Hermann Freitag von der Grünsfelder Rathaustreppe in die Dämmerung. Und als hätten sie’s gehört, stehen dreißig Wissbegierige im Halbrund und freuen sich gemeinsam auf den ersten Nachtwächterrundgang in der Stadt, wo Grünbach und Wittigbach sich vereinen. Seinen ‚Sekretär‘ Edgar Weinmann hat er ebenso mitgebracht wie seinen Knappen Jo, besser bekannt als Grünfelder Bürgermeister Joachim Markert. „Hört ihr Leut‘ und lasst Euch sagen“, musste der Nachwächter nicht zweimal sagen, denn schon erläutert Edgar Weinmann fachkundig die Geschichte des Grünsfelder Rathaus‘, erbaut von den damals regierenden Bürgermeistern Hans Hertich und Hans Mittnacht im Jahr 1579.

Und dass der Sekretär sattelfest ist in Sachen Jahreszahlen, beweist er an allen Haltepunkten eines sehr informativen und ebenso unterhaltsamen Stadtrundgangs. Wer allerdings Unsinn spricht, dem droht die Halsgeige am Pranger, die er den aufmerksamen Zuschauern leibhaftig an sich selbst demonstriert. Ein paar Meter weiter vom Rathaus entfernt, weiß des Nachtwächters Sekretär von einer anderen Begebenheit, die heute so kaum vorstellbar wär. Denn der Ordonanzbursche eines Offiziers beim Kaisermanöver sollte im Laden der Hauptstraße Toilettenpapier besorgen, und sah sich der Frage der einheimischen Verkäuferin konfrontiert: „Kariert oder liniert?“ Das Papier war eben damals in Grünsfeld noch dem klassischen Zweck des Schreibens vorbehalten.

Aber auch der wenig spätere Einzug des motorisierten Verkehrs in der Stadt entlockt dem Heimaterklärer eine weitere Anekdote. „Hier an dieser Stelle“, beschreibt der das Geschehene, „fuhr der Artur etwas schnelle“, und mit dem Verweis auf Münchhausen fährt er fort, „dann tat’s einen Plumpser, Wanderer bet‘ a Vater Unser!“ Immer wieder weist Weinmann während des Rundgangs auf die bewegte Geschichte der jüdischen Mitbürger Grünsfeld seit dem zwölften Jahrhundert bis in die jüngste Vergangenheit hin. So beschreibt er das Badehaus ebenso wie die abgebrannte Synagoge in hoher Detailtreue, und er meint schließlich, dass es nun endlich an der Zeit sei, sich dieser schrecklichen Vorkommnisse nochmals bewusst zu werden. Eine Denktafel wäre ein unmissverständliches Zeichen.

Am unteren Stadttor vermittelt dann der Nachtwächter selbst die erklärenden Details, denn am Zimmerertor speziell kennt er sich aus: „Ich komm nämlich von Zimmern!“, lässt er die Zuhörer wissen, und auch über’s Linsenbrünnle weiß er bestens bescheid, denn das Wasser aus ihm hat nur einen einzigen Zweck: „Linsesuppe mit Speck drin, gibt’s auf der Welt kei besseres Ding!“ Damit steht fest, in Grünsfeld gibt’s die beste Linsensuppe der Welt! Basta! Dass der Nepomuk auf der Brücke fehlt, darüber weiß wieder der Heimatforscher zu erzählen. Als man ihn nicht mehr brauchte, sollte er im Steinbrecher seine letzte Ruhe finden. Wie durch ein Wunder allerdings, fand er, nachdem er hier ausgedient hatte, seinen Weg nach Wernfeld, wo er heute noch die dortige Brücke ziert. Zwar habe man ihm kürzlich mit dem Bagger einen Kopf kürzer gemacht, doch das Haupt ist ihm wieder aufgesetzt, und wer mal vorbei kommt dort an der Wern, wird feststellen, dass der Grünsfelder Nepomuk ein bisschen Heimweh hat nach dem Grünbachtal.

Das historische Stadtbad hat’s dann wieder dem Nachwächter angetan. Er schwadroniert über Astlöcher im geschlechtertrennenden Holzzaun, und kommt doch auf die einsichtige Erklärung, dass die dort ständig wachsende Anzahl von ‚Astlöchern‘ schon damals die erotische Neugier beflügelte, egal von welcher Seite sie gebohrt. Vom Storchenturm ist dann noch die Rede, und von der Kamelbrücke aus dem Jahr 1727, die schon damals das Lügenbrückle über den Grünbach war, bis schlussendlich die Wissbegierigen vor der Kirche in den Abend verabschiedet werden. Knappe Jo wird kurzfristig aktiv in seiner derzeitigen Rolle als Bürgermeister, indem er dem Nachwächter Hermann Freitag ebenso herzlich dankt wie dem passionierten Heimatforscher Edgar Weinmann.

Auch wenn die nächsten Frühjahrstermine des Nachtwächterrundgangs schon ausgebucht sind, im Herbst wird es bestimmt weitergehen, so jedenfalls verspricht es Joachim Markert zum Abschluss eines angenehm informativen Abends.

Helmut Neukam

 
 
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